DJ Haitian Star

Sa. 23. September 2017, 23:00 Uhr

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Guckt mal wer in den keller kommt...
DJ HAITIAN STAR aka TORCH
Sollte es tatsächlich jemanden geben, der ihn nicht kennt? Glauben wir nicht!

Er ist der wohl wichtigste MC in der Geschichte des deutschen HipHop. Pionier, Mythos, Lichtgestalt und vieles mehr. In diesem September wird Torch 40 Jahre alt. Zeit für eine Würdigung. Gestatten Sie, sein Name ist Frederik Hahn...
Würde Frederik Hahn dieser Tage nach seinem Beruf gefragt, etwa am Rande einer Familienfeier oder beim Einwohnermeldeamt Heidelberg, antwortete er mit großer Sicherheit: „HipHopper“. Bei ihm heißt das nicht: Ich habe eine Kappe, ein Eminem-Poster an der Wand und ein paar Freunde, die meine Reime gut finden. Bei ihm heißt das: Ich lebe für HipHop. Ich lebe von HipHop. Und nicht zuletzt: Ich lebe HipHop. Als DJ und Labelbetreiber, Autor und Radiomoderator, Produzent und Hörbuchstimme, als Sprüher und Tänzer, Dichter und Sprachrohr. Und natürlich als einer des besten Rapper, die dieses Land je gesehen hat.
In vielerlei Hinsicht ist Torch über die Jahre von seinen Erben überflügelt worden. Als MC hatte er nie die technische Finesse eines Kool Savas, nie die physische Vehemenz eines Samy Deluxe, nie die Massentauglichkeit eines Sido, nie die Wortspieldichte eines Dendemann, nie das Image eines Bushido. Weil er all das gar nie wollte. Und vor allem weil er es nicht brauchte, um trotzdem die wichtigste Symbolfigur seines Genres, ja seiner ganzen verdammten Kultur zu sein.
Dabei geht es weniger darum, dass er viele jener Dinge erfunden hat, die heute als Selbstverständlichkeiten über Smartphones und Flachbildschirme flimmern: Seine Schlüsselrolle in den Anfangstagen des deutschen HipHop, seine Verdienste als Vorreiter und Botschafter sind wohl dokumentiert in zahlreichen Artikeln, Büchern, Museen. Viel wichtiger als die Vergangenheit ist, was Torch noch heute ausstrahlt. Was die Menschen in ihm sehen. Und was er daraus macht.
Die Fakten sagen: Als Musikschaffender hat Torch seit zehn Jahren kein Album mehr veröffentlicht. Er hat überhaupt nur eines unter diesem Namen veröffentlicht, jenen unangefochtenen Klassiker „Blauer Samt“ aus dem Jahre 2001, als das Genre Deutschrap bereits seine erste kleine Krise durchlebte. Dennoch nehmen noch heute unzählige junge Künstler Bezug auf den mythischen MC aus dem Rhein-Neckar-Raum. Die Krawallbrüder von K.I.Z. etwa coverten sein „Wir waren mal Stars“. Der Berliner Verstrahlemann Marteria erwägt, das nächste Album seines Alter Egos Marsimoto in offensichtlicher Anlehnung „Grüner Samt“ zu nennen. Anderen dagegen, vor allem den Gangstarappern der Generation Aggro, hat Torch immer wieder als Zielschiebe für zügellose Disses gedient – und das obwohl er als reimender Immigrantensohn mit grünem Ausweis einst überhaupt erst dafür sorgte, dass Jungs wie Bushido heute Millionäre und Jugendidole sein können. Wie kein anderer zieht er gleichermaßen gottgleiche Verehrung und leise Verachtung auf sich, ist Held, Vater- und Hassfigur in einem. Nur eines ist er auch im Jahre 2011 niemandem: egal.
Warum ist das alles so? Warum hat Torch diese Strahlkraft über all die Jahre nie verloren? Ganz bestimmt hat das mit seiner Persönlichkeit zu tun. Torch hatte immer das, was man heute „Swag“ nennen würde. Charisma und Ausstrahlung. Eine einzigartige Präsenz auf- und abseits der Bühne. Und diese seltene Gabe, einen Standpunkt ohne Dogmatismus, aber mit Nachdruck vertreten zu können. Und Standpunkte hat er weiß Gott.
Er kann nicht anders. Aufgewachsen ist Frederik Hahn im Heidelberg der siebziger Jahre, zwischen der Wärme des bildungsbürgerlichen Milieus und dem kühlen Reiz des Draußen, den kulturellen Einflüssen seiner haitianischen Familie und der BRD von Schmidt, RAF und Kaltem Krieg. Bereits als Kind erreichten ihn die ersten Ausläufer jener merkwürdigen, neuartigen Jugendbewegung aus der Bronx; mit 14 Jahren lernte er dann in Paris Afrika Bambaataa kennen, diesen tief spirituellen Bordsteinpolitiker und Gründervater der „Universal Zulu Nation“, der ihn umgehend zum deutschen Statthalter seiner Organisation ernannte. Plötzlich ergab alles einen Sinn: Der Lindy Hop und das afrikanische Ballett seiner Jugend verschmolzen mit Electric Boogie und Eisi Gulp. Der Graffiti-Schriftzug von Charlie Ahearns „Wild Style“ mit dem Bedürfnis, sich auszudrücken, sein Revier zu markieren, wild zu sein, Style zu zeigen. Und das Wort war plötzlich nicht mehr nur Wort, sondern ein völlig neuer Pfad im Walk Of Life. Genau so wie er Jahre später einer ganzen Generation eine ungeahnte Perspektive aufzeigen sollte, hatte er seine Identität gefunden: HipHop.
1987 gründete er mit Toni L. und Linguist die Gruppe Advanced Chemistry, die Chronisten wie Kollegen heute als wichtigste Band des frühen deutschen Rap gilt, als Pioniere der echten Schule jenseits der kunterbunten Popwelt der Fantastischen Vier. Es war die Zeit vor Myspace und Twitter: Bevor man die Welt mit ganzen Litaneien unausgegorener Weltübernahmefantasien belästigen durfte, musste man sich seine Sporen erst auf der Bühne verdienen. Die Jam, der gedruckte Flyer, das Festnetztelefon und das gesprochene Wort waren die einzigen Informationsquellen dieser jungen Szene. Und so dauerte es noch eine ganze Weile, bis AC selbige endgültig auf den Kopf stellten. Bis 1992 auf MZEE Records die Maxi „Fremd im eigenen Land“ erschien. Ja, genau. Das mit dem charakteristischen „Spiegel TV“-Sample. Das mit dem goldenen Adler im Video. Das mit den wütenden Reimen über den unterschwelligen Rassismus im deutschen Alltag, vorgetragen von einem Afrodeutschen, einem Germanoitaliener und einem Heidelberger Halbhaitianer. Knallharter Politrap über knallharter Breakbeats, so gut wie nie zuvor und selten danach.
Heute oft vergessen wird, dass auf der B-Seite der Maxi das Stück „Ich zerstöre meinen Feind“ zu hören war: Battlerap in seiner pursten Form, fast zehn Jahre vor Aggro Berlin. Das klingt nach einem Detail für Plattensammler und andere Nerds, ist aber durchaus beispielhaft zu sehen. Denn Torchmann war nie der ewige Prediger mit dem erhobenen Zeigefinger, als den ihn seine Gegner gerne darstellen. Er war immer auch der Frauenheld mit Lederjacke, „Stärkster auf dem Pausenhof, der Schnellste im Sport“, wie er später auf „In deinen Armen“ rappte. Zwar hat er sie mit den Jahren durchaus akzeptiert, seine Rolle als ultimatives Gewissen des HipHop, der ihm als Ausdrucksform und kulturelle Klammer am Herzen liegt wie wenig und wenigen sonst. Aber er ist immer auch ein Schalk geblieben, ist Lehrer und Schüler zugleich, Aufschneider und demütig, Krieger und friedliebend, Persona und Mensch. „Ich sehe mich irgendwo zwischen KRS- One und Wolfgang Biermann“, hat Torch einmal gesagt. Der Gangsta aus der Bronx und der linke Liedermacher aus Hamburg, vereint im Glauben an die Macht der Lyrik. Bei eventuellen Nachfragen möge man „Kapitel 1“ konsultieren, einen weiteren Klassiker aus dem Katalog des Torchkinski, der 1993 gleichzeitig Höhepunkt und Schlusspunkt der „Alten Schule“ markierte. Oder eben „Kapitel 29“, das erste Stück auf „Blauer Samt“.
Zwischen beiden Veröffentlichungen liegen acht Jahre. Eine Ewigkeit, nicht nur im HipHop. Dennoch arbeitete Torch in all der Zeit konstant an „Blauer Samt“. Nicht nach den gängigen Denkmustern der Musikverwertungsindustrie, die sich in Deadlines und Vorschüssen erfassen ließen. Sondern nach seinen eigenen Regeln. So sind einige der Kapitel und Visionen (wie Torch seine Stücke selbst nennt, neben der dritten Kategorie für „Banales“ wie Party- und Possetracks), die 2001 das Licht der Plattenläden erblickten, bereits 1994 geschrieben worden. Man könnte das für eine Schwäche halten. Doch es ist in Wahrheit die größte Stärke dieses zeitlosen Zeitdokuments.
Niemand der dieser LP je auch nur eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit geschenkt hat, könnte glauben, man hätte es hier mit Resteverwertung zu tun. Vielmehr fasst „Blauer Samt“ auf beeindruckende Weise dreißig Jahre Frederik Hahn zusammen – ohne sich in den genreüblichen Klischees des Persönlichen zu erschöpfen. Seine Biografie schimmert immer wieder durch, aber vielfach kodiert, verbildert im exzentrisch-synästhetischen Master-Narrativ einer innerlich zerrissenen Generation. „Blauer Samt“ entzieht sich dem Ausrufezeichengestus des Rap. Es ist vor allem ein riesiges Fragezeichen, schon der Titel: „Blauer Samt?“
Wie erwähnt hat Torch seitdem kein Album mehr veröffentlicht. Und dennoch ist der Wahlzürcher vermutlich aktiver als je zuvor. Fast täglich verfasst er neue Texte, verfügt über hunderte fertig geschriebener Songs. Selbst beschreibt er sich als den „passiv aktivsten Autor“. Zudem bietet er mit seinem Label 360° Records Freunden und Gleichgesinnten wie Toni L., DJ Stylewarz oder Grandmaster Caz eine Plattform zur kreativen Entfaltung. Als DJ Haitian Star verwandelt er mit schöner Regelmäßigkeit Tanzlokale von Berlin bis Brooklyn in Schwitzhütten. Und mit dem Haiti-Hilfsnetzwerk Marasa führt er im echten Leben fort, was er einst auf Platte begann. Mit seiner Rolle als Vorzeigerapper der Nation hat er längst abgeschlossen. Aber das war ohnehin nie seine einzige Rolle. Insofern ist er nicht nur dem HipHop, sondern auch sich selbst treu geblieben. Vermutlich noch so ein Grund, warum dieses Ungetüm aus 23 Stücken nichts von seiner Bedeutung verloren hat.
„Blauer Samt“ erschien zu einer Zeit, als viele Rapmusiker längst einen Beruf aus ihrem Hobby gemacht hatten. Einen gut bezahlten noch dazu. Dennoch handelt es nicht von Wohlstand und Ärschen (und wenn doch, dann begrabscht sie Torch aus der selbstironischen Perspektive des Veteranen, der seine Sturm-und-Drang- Phase längst hinter sich hat). „Blauer Samt“ handelt auch nicht von Rap. Es nutzt Rap, um eine grundkaputte Gesellschaft zu sezieren – eine Gesellschaft freilich, der auch Torch selbst angehört. Insofern ist „Blauer Samt“ doch das Manifest, das es nie sein sollte. Oder, um es mit den Worten des Fachmagazins JUICE zusagen: „kein Album, sondern ein Werk.“ Es zeigt alle Widersprüche des Frederik Hahn und die ganze Kunst des Torch. Es beleuchtet und verdunkelt, ist mal wundervoll eingängig, mal verstörend düster, mal berührend einfach, mal hochkomplex. Nur eines ist es auch im Jahre 2011 nicht: egal.
Davide Bortot, 2011
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