Seit mit Aristoteles’ Metaphysik der unabgelenkten Linie gegenüber der gekrümmten eine höherwertige Position zuerkannt wurde, gehört es zur wiederkehrenden Diffamierung des Mäanders, die Figuren der Abweichung als geschmeidig, adaptiv und opportunistisch, aber auch – in ihrem Emblem, der Schlange – als heimtückisch, chaotisch und böse zu brandmarken. Demgegenüber gilt die Gerade als Inbegriff historischer Vernunft, als übermächtige Ordnungsform, bei der die zum Disparaten neigende Welt zusammenläuft und zur Gesamtheit synthetisiert werden kann. Doch was, wenn sich der rationalistische Formalismus der Gerade in Wahrheit als grandios irrational und dysfunktional für das planetarische Leben erweist? Wenn sich die Verwandlung von verschlungenen Gebilden der Relationalität in effiziente Landschaften mit stringenten Planungsabläufen als Voraussetzung heutiger Katastrophen offenbart? Könnten sich uns, so fragt Volker Demuth in seinem zwischen Analytik und Geschichte, Reflexion und Erzählen pendelnden Essay, mit dem Mäander nicht Einsichten bieten in eine radikal andere kulturelle und politische Ökologie, in eine Grammatik, bei der Subjekte und Objekte nicht hierarchisiert werden? Kein Punkt an der Spitze einer imaginären Pyramide also, vielmehr ein hin und her schwingendes Beziehungsgeflecht in einem fluiden Raum.
Volker Demuth, geboren 1961 in einer süddeutschen Kleinstadt, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Oxford und Tübingen, wo er über J. M. R. Lenz promovierte. Von 1993 an freier Schriftsteller. Langjährige Tätigkeit für den Südwestrundfunk, bei der eine Reihe von Hörspielen, Features und Radioessays entstanden. Seit Ende der 90er Jahre entwickelt er eine neue, räumliche Form der Lyrik, für die er verschiedene Medien in einer installativen Sprachform verwendet (»RaumPoem«).
Mehrere Jahre lehrte er als Professor für Medientheorie (2004 Aufgabe der Professur). Für sein Schreiben wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2001 Landesstipendium Baden-Württemberg, 2003 Stipendium Rheinland-Pfalz im Künstlerhaus Edenkoben, 2012 Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung, Werkstipendium Deutscher Literaturfond 2018. Residenz im Künstlerhaus Ahrenshoop 2022. Er lebt in Berlin und der Uckermark.
Die Veranstaltung findet statt in der Reihe „Der Freiheit eine Gasse" - Heilbronner Untertitel: "Demokratie.Form.Leben." im Rahmen des Literatursommers Baden-Württemberg. Der Eintritt ist frei.
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