Der „Held“ in Urs Odermatts gewagter Szenencollage Der böse Onkel ist einer, von dem frau sich kaum wünscht, dass er auf dem weißen Gaul dahertrottet, um sie auf der nächstgelegenen Waldlichtung sanft aber bestimmt zu entjungfern. Dennoch wird Armin in seiner Kleinstadt wie ein Held verehrt, da er in den 70er Jahren bei einer Landesmeisterschaft im Turmspringen den ersten Preis abräumte. Welch Triumph für das kleine Städchen! Wenn Armin aber, mittlerweile als Sportlehrer tätig, seine Mädchenklasse nackt durch die Turnhalle scheucht, dann ist das, trotz Spitzbubencharme, nicht nett. Dann ist das sexuelle Nötigung.
Die Mutter einer Schülerin bricht mit dem kollektiven Schweigegelübde und klagt den Lehrer an. Das Dorf ist empört. Nicht aber über den Missbrauch, sondern über die Mutter, die diesen nicht duldet! Wo kommen wir hin, wenn wir unseren Helden nicht mehr erlauben, das schönste Mädchen zu küssen? Es folgen der unverblümte Hass der Gemeinschaft und die Isolation der Einzelnen.
In Rom ausgezeichnet mit dem New Vision Award für den innovativsten Film kommt Der böse Onkel kontroverser daher, als die skizzierte Handlung vermuten lässt. So zeichnet er nicht etwa das einfache Bild eines schuldigen Täters hier und seiner wehrlosen Opfer dort, sondern portraitiert auf beiden Seiten überaus ambivalente Figuren. Um sich nicht in Ambivalenzen zu verlieren, setzt Der böse Onkel auf die filmische Form selbst. Cadrierung und Schnitt strotzen vor visueller Phantasie. Dazu ist der aus einem Theaterstück erwachsene Streifen überreich an dialogischen sowie monologischen Experimenten. Die eindeutige Zuordnung von Schuld/Unschuld, Täter/Opfern, Wahrheit/Lüge wird dadurch sanft aber bestimmt in den Hintergrund gerückt.
Bei einem derart brisanten Thema ist dies gewagt, und so wundert nicht, dass die schweizer Presse den Film bezichtigt, sexuellen Missbrauch zu verharmlosen. Die No-Budget-Crew um Urs Odermatt nimmt’s locker. «Anders als bei meinen früheren Filmen beobachte ich hier nur entweder bittere Ablehnung oder euphorische Zustimmung. Für mich heisst das: Ziel erreicht.» Wir sind gespannt, ob Der böse Onkel das Zebra Publikum genau so polarisieren wird und freuen uns, den Regisseur Urs Odermatt und die Produzentin des Films, Jasmin Morgan, bei uns begrüßen zu dürfen.