Ende Mai 2016, die deutschen Albumcharts: Kontra K steht auf der Eins. Sein Album LABYRINTH zieht von Null an die Spitze, verdrängt Udo Lindenberg auf die zwei, bleibt 19 Wochen lang in den Charts. Was für einen Story! Ein Berliner Rapper, von der Straße auf die Pole Position. Genau darum geht’s doch im HipHop, aus dem Dreck nach ganz oben kommen, den Neid der anderen auf sich ziehen. Oder? „Quatsch!“, sagt Kontra K, der bürgerlich Maximilian Diehn heißt. „Platz eins? Mir egal. Kann ich mir morgen auch nichts für kaufen. Und Neid? Fördert nur Hass.“ Wenn sich im Leben von Kontra K etwas verändert hat, dann das: Der Hunger ist noch größer geworden. Die Lust, noch eine Schippe drauf zu legen, steigt. Und tatsächlich: Kein Jahr nach dem Hitalbum hat Kontra K bereits den Nachfolger fertig. Kein Aufguss der Erfolgsplatte, sondern etwas völlig Neues: 18 Tracks, neuer Sound, neues Produzententeam, neues Label, neue Themen. Erfolg macht träge? Da kennt ihr Kontra K aber schlecht.
Das neue Album, sein insgesamt sechstes, heißt GUTE NACHT. Da wird man schon neugierig, denn warum nennt ein wacher Geist wie Kontra K sein neues Werk ausgerechnet GUTE NACHT? Ein Blick aufs Cover reicht, um zu erkennen: Schlafen legen will er sich ganz sicher nicht. Der Mann hat was vor!
Als Familienvater wünscht Maximilian Diehn seinem Sohn jeden Abend eine „Gute Nacht“. Das Kind bekommt die Ruhe, die es sich verdient hat. Doch Kontra K braucht diese Ruhe momentan nicht, er hat genug Energie, auch dann weiter zu machen, wenn wir anderen schlafen. Sein GUTE NACHT meint: Wer sich hinlegen will, der soll das tun – ich bin aber noch voll da! „Ich will keinen Feierabend, keine Pause. Ich ziehe das jetzt durch!“, sagt er. Im Sommer wird Kontra K 30 Jahre alt. Er weiß: „Das sind gerade die besten Jahre meines Lebens. Ich fühle mich stark, habe Kraft und Energie. Es gibt keine Zeit zu verlieren.“ Im zentralen Track „Mehr als ein Job“ beschreibt er seine Lebensphilosophie: „Man ist nur einmal jung, hat nur einmal die Kraft, also halt’ ich das Glück in der Hand.“ Statt den Erfolg von LABYRINTH auszukosten, startete Kontra K daher sofort mit der Arbeit am Nachfolger. HipHop ist seine Kraftquelle: „Jedes Mal, wenn ich rappe, brechen die Mauern um mich auf“, heißt es im Stück „Jedes Mal“, einem Song über die lebensrettende Kraft seiner Musik.
Natürlich treibt Kontra K auch weiterhin intensiv Sport. Der Berliner ist ein wahnsinnig guter Boxer, trainiert mit Jürgen Brähmer, Enrico Kölling, Tyron Zeuge und Stefan Härtel vom Team Sauerland, Deutschlands wichtigstem Stall für Profiboxer. Und er gibt auch etwas zurück: Als Coach beim Schöneberger Box Club Olympia coacht Kontra K eine Gruppe talentierter Teenager und zeigt ihnen, worauf es im Ring ankommt, nämlich vor allem auf Respekt. Für den Gegner. Aber auch für sich selbst, den eigenen Körper und Geist. Auf den früheren Alben handelten seine Texte zentral vom Kampfsport. Die neuen Tracks finden andere Bilder. „Ich denke, dazu habe ich genug gesagt, warum sollte ich mich wiederholen?“, fragt er. An die Stelle der Sportmetaphern treten auf GUTE NACHT eindringliche Beschreibungen. Seine HipHop-Welt wird von Ratten und Hyänen bevölkert, es riecht nach Feuer, Nebel steigt auf. „Ich sehe diese Dinge und kann sie nicht verschweigen“, sagt er. Der Song „Glücklichen“ handelt von den Menschen, die blauäugig durch die Welt gehen. „Das sind die Glücklichen“, sagt er. „Ich könnte nicht so leben wie sie. Ich weiß zu viel über diese Welt, ich muss mich an ihr abarbeiten.“ Aber das lohnt sich: „Die besten Diamanten findet man unter tausend Tonnen Dreck“, heißt die Eingangszeile von „Diamanten“, der ersten Single der Platte, die mit ihren peitschenden Beats und der verführerischen Melodie sofort zum Fanfavoriten aufstieg.
Nummer-Eins-Rapper, Familienvater, Boxer und Coach: Wie viele Stunden hat ein Tag im Leben von Kontra K? „Zu wenig“, lacht er und gesteht: „Es fordert mich sehr heraus, alles unterzukriegen.“ Immerhin: Sein Industriekletterer-Unternehmen SkyWorkAir führt jetzt sein langjähriger Wegbegleiter Rico – und zwar mit der Leidenschaft, wie es sich gehört. Der Track „2 Seelen“ erzählt von den Zweifeln, die in ihm wohnen. Er rappt: „Ich habe 2 Seelen in meiner Brust/ Und sie führen Krieg/ Ich habe 2 Seelen, eine für Ruhe, die andere fliegt/ Doch sie bleiben eins, bevor es mich zerreißt.“ Ruhe im Dunkeln oder Flug ins Licht? Kontra K ist sich zu 100 Prozent sicher, dass es sein Ziel sein muss, ins Licht zu fliegen. Seine Zeit im Schatten ist vorbei, aber weiß noch sehr genau, wie es sich dort anfühlt. Als Teenager baute er Scheiße, kam in Kontakt mit Drogen, rutschte in die Kriminalität. Er lernte die Gestalten der Schattenwelt kennen, beschreibt sie in „Ratten“, dem Auftaktstück des Albums, das den Hörer mit seiner düsteren Atmosphäre in die Platte hineinzieht. „Die Welt hat keine Liebe für die Schwachen/ Wir sind umzingelt von den scheiß Ratten“, rappt Kontra K zu flackernden Beats.
In seinem Leben hätte viel schief gehen können. Doch Kontra K zog sich heraus aus dem Sumpf, geholfen haben der Kampfsport und der HipHop. Einmal raus aus der Welt der Ratten, hält er von nun an zu dieser eine große Distanz. „Mein Hunger steigt, niemand hält mich klein/ Nur eine Handvoll Leute kennt meine dreckige Zeit“, heißt es in „Mehr als ein Job“. Was für eine Art Mensch er während seiner „dreckigen Zeit“ gewesen war, weiß er selbst noch ganz genau. Andere jedoch geht das nichts an. „Ich bin wie der Wind, für meine Vergangenheit nicht mehr zu greifen“, heißen die ersten Zeilen von „Mehr als ein Job“.
Wir merken hier schon: Mit üblichem Gangsta-Rap-Gefasel hat Kontra K nichts am Hut. Er prahlt nicht mit dem Mist, den er früher gebaut hat. Und schon gar nicht macht er einen auf dicke Hose, weil er es nach oben geschafft hat. „Nichts langweilt mich mehr als Angeberei“, sagt er. „Wer nur redet, der tut zu wenig.“ Und sowieso ist Neid für ihn die Triebfeder, aus der schließlich Hass entsteht. Im Track „Gift“ beschreibt Kontra K eindringlich den Teufelskreis, in den man hineingerät, wenn man sich willenlos vom Schatten überwältigen lässt: Drogen und Kriminalität, Selbstmitleid und Lügen führen zu Dramen, die Leben zerstören. Der Song ist düster, doch die Botschaft hoffnungsvoll: „Warum lassen wir die Dunkelheit gewinnen?/ Aus dem Schatten ist es nur ein Schritt.“ Bei dem Track dabei ist der Berliner HipHop-Kollege BTNG alias George Boateng sowie die Rap-Crew AK Ausserkontrolle, Berlins berüchtigte Gangsta-Truppe, die sich an der Seite von Kontra K überraschend reflektiert zeigt.
Wer jetzt denkt, GUTE NACHT sei ein braves Album geworden, wird sich wundern. Das vom Dancehall beeinflusste „Plem Plem“ mit RAF Camora und Bonez MC von Hamburgs 187 Strassenbande ist eine astreine Abreibung. „Gemeint sind Typen, die einen schlecht machen, die nur auf Kohle aus sind und aus deren Neid Hass erwächst.“ Im Refrain fallen Schüsse, es geht: „Peng, peng, peng.“ Man kann über die Message streiten. Man soll sogar. Kontra K ist Rapper, GUTE NACHT ein deutsches HipHop-Album. Ein Einser-Kandidat für die Charts – aber alles andere als eine Streberplatte.
Diese Mischung aus Angriff und Reflexion macht Kontra K in der HipHop-Republik Deutschland so einzigartig: Er bietet deutschem Rap eine neue Perspektive. Kontra K schreibt über sich und über sein Leben, doch seine rasant wachsende Fangemeinde finden sich problemlos in den Texten wieder. Diese Identifikation ist das Geheimnis seines Erfolgs. Andere Rapper arbeiten auf Distanz. Kontra K kommt einem Nahe. Seine Message: Es gibt die Ratten und das Gift, die Finsternis und den Schatten. Aber der Weg ins Licht ist kürzer, als du denkst. Auch Leute, die sonst wenig HipHop hören, erkennen die Kraft und Energie, die in diesen Tracks steckt. Sie fühlen sich in ihren Ängsten und Hoffnungen wahrgenommen. GUTE NACHT wird daher wieder durch die Decke gehen. Und Kontra K wird weitermachen, auf Tour gehen, die großen Festivals wie Southside und Hurrcane spielen. Solange der Hunger noch da ist. Und satt ist er noch lange nicht.